Mit vielen Vorschusslorbeeren ausgestattet (Goldener Löwe bei den Filmfestspielen von Venedig!), startet diese Woche die Origin-Story des „Joker“ im Kino. Eine Figur, deren Abgründigkeit nicht nur auf der Leinwand seinen ewigen Widersacher Batman das ein oder andere Mal in Bedrängnis brachte. Im realen Leben wurde sie beispielsweise dem großartigen Heath Ledger zum Verhängnis, der sich zu tief in seine Rolle als Joker in „The Dark Knight“ hineinsteigerte und an den Folgen zerbrach. Joaquin Phoenix wusste also, worauf er sich einließ, als er die Hauptrolle in Todd Phillips düsterem Psycho-Thriller übernahm, den wir uns für euch in der Pressevorführung angeschaut haben.
Eine Figur wie DC-Ikone Batman (oder auf Marvel-Seite Iron Man) übt vor allem deshalb solch eine langfristige Faszination auf uns aus, weil sie eben kein glattgeleckter Strahleheld ist, der moralisch über jeden Zweifel erhaben ist. Es ist die Ambivalenz, die Abgründigkeit, die Zerrissenheit, die diese „Superhelden“ so interessant und nahbar macht. Angesichts dessen ist es schon ziemlich kurios, dass die Antagonisten der Batmans, Supermans, Iron Mans, Spidermans, Thors und all der anderen DC- und Marvel-Helden, die noch sehr viel mehr als die „good guys“ hergeben, im Hollywoodkino noch nie mit einem eigenen Film geehrt wurden. Zumal der Erfolg eines „Dark Knights“ ja zu einem großen Teil auch der morbiden Faszination des Jokers geschuldet war. Doch was machte man? Der nächste Joker-Auftritt (von Jared Leto in „Suicide Squad“) war von seiner Leinwandzeit her eher ein Joke und ließ diese vielschichtige Figur zur Randnotiz verkommen. Nun aber wird der Batman-Gegenspieler endlich mit einem eigenen Film geehrt – und könnte damit (endlich!) eine neue Ära des Super(anti)heldenkinos einläuten.
Besser als Superhelden: Antihelden
Ich sag’s ganz ehrlich: Seit ein paar Jahren habe ich mit den „Avengers“->LINK und ihren DC-Kollegen irgendwie abgeschlossen. Mehr oder weniger immer das gleiche Action-Bombast-Buhei, das einem im Kino zwar einen audiovisuellen Ganzkörperkick gibt, danach aber auch ziemlich schnell wieder vergessen ist. Filme wie „Deadpool“, „Ant-Man“ oder „Wonder Woman“ stachen erfreulich aus dem Einheitsbrei heraus, waren den „großen“ Kollegen dann letztlich aber doch noch recht ähnlich.
„Joker“ ist anders. Dieser Film geht dahin, wo’s weh tut. Er erklärt die Wesenszüge dieser ambivalenten Figur und wie sie zu dem psychopathischen Monstrum geworden ist, das wir in den bisherigen Filmen meist als gegeben hinnehmen mussten. Hier lernen wir den Joker und seine traumatisierte Persönlichkeit endlich einmal richtig kennen – nicht nur in kurzen Rückblenden, sondern in einem erschreckenden Film-Psychogramm.
Aus Arthur wird Joker
Wir wollen nicht spoilern und zu viel der Handlung preisgeben, doch so viel sei gesagt: Am Anfang des Films sehen wir, wie Arthur Fleck, ein Mann mittleren Alters, im Gotham City der frühen 80er-Jahre als buchbarer Clown arbeitet und mit dem kargen Lohn seine Mutter Penny (Frances Conroy) versorgt, die mit ihm in einem kleinen Apartment lebt. Wir erfahren, dass er an einer geistigen Krankheit leidet, die ihm aus heiterem Himmel unkontrollierbare Lachattacken beschert, die auf andere Menschen alles andere als komisch wirken. Als er einen solchen Anfall bei einer jämmerlichen Stand-up-Comedy-Performance in einem Nachtclub bekommt und die Videoaufnahme davon dem Late-Night-Talk-Star Murray Franklin (Robert DeNiro) in die Hände fällt, demütigt dieser ihn live in seiner Fernseh-Show. Beileibe nicht die erste und einzige Demütigung, die Arthur in seinem Leben über sich ergehen lassen muss. Immer tiefer fällt er in einen unheilvollen Abgrund hinein und verliert schließlich endgültig die Kontrolle.
Der Taxi Driver von Gotham City
Auf mich wirkt „Joker“ wie eine Mischung aus Scorseses „Taxi Driver“, Alexandre Ajas „Maniac“ und Iñárritus Meisterwerk „Birdman“. Nicht unbedingt inhaltlich, sondern eher von seiner beklemmenden Atmosphäre, seinem Düster-Look und der brutal-blutigen Inszenierung. Der Cello-lastige Score von Hildur Guðnadóttir, die beispielweise auch die Musik zur gefeierten HBO-Serie „Chernobyl“ ablieferte, ist einfach nur Musik gewordene Gänsehaut. Und zu all dem kommt dann auch noch ein Joaquin Phoenix, der hier nicht weniger als die Rolle seines Lebens spielt. Wenn das keinen Oscar gibt, taufe ich meinen Hund um!
Kurzum: Auf einen Film wie diesen habe ich seit Jahren gewartet – ihr vielleicht auch?
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