Man kann es dem modernen Menschen aber auch nicht recht machen: Entschiedenes Misstrauen gegenüber neuer Technik gehört für den aufgeklärten Wohlstands-Europäer selbstverständlich zum guten Ton, der hysterische Onlinewahn heutzutage ist natürlich ganz, ganz gefährlich und überhaupt, wer nach NSA-Abhörskandal und Heartbleed-Virus sein Handy, Tablet und am besten den ganzen PC immer noch nicht aus dem Fenster geworfen hat, ist doof und selber schuld. Einerseits. Andererseits – so ganz ohne ist ja auch Mist. Also, was denn nun? Vorsprung durch Technik? Oder zurück zum Menschen? Keine uninteressante Frage, die „Transcendence“ mit Johnny Depp stellt.
Dumm nur, dass das dann auch das einzige Interessante an diesem unausgegorenen Science-Fiction-Thriller bleibt. Zugegeben: So schlecht, wie viele amerikanische Kritiker das Zukunfts-Märchen machen, ist es nun auch nicht. Geht das schon als Pluspunkt durch…?
Johnny Depp, der nach „Alice im Wunderland„, „Pirates Of The Caribbean„, „Dark Shadows“ oder „Lone Ranger“ weiter munteres Genrehopping betreibt, gibt den selbstverständlich ebenso brillanten wie verschrobenen Wissenschaftler Dr. Will Caster (alte Hollywood-Regel: Wenn ein Wissenschaftler wirres Haar im Ich-bin-gerade-aufgestanden-Look hat, ist er IMMER ebenso brillant wie verschroben). Dr. Caster arbeitet an einer Super-KI, die intelligenter sein soll als alle Menschen der Erde zusammengenommen. Eine Gruppe von technophoben Terroristen hat offenbar „Terminator“ gesehen und jagt Dr .Caster in einem ebenso feigen wie heuchlerischen Mordanschlag eine radioaktiv verseuchte (!) Pistolenkugel in den Leib. Seine Ehefrau Evelyn (Rebecca Hall, „Iron Man 3„, „The Awakening„) und Busenfreund Max (Paul Bettany) entschließen sich zu einem ungeheuren Experiment: Bevor Will sein Leben aushaucht, transferieren sie seinen Verstand kurzerhand auf eine Festplatte. Der virtuelle Will hat Glück, wird nicht vom Virenscan gelöscht und beginnt schon bald, sich ungeniert in fremde Computersystem einzuloggen. Doch damit gehen die Probleme erst los.
Cyber-Will errichtet mithilfe von Evelyn in der Wüste ein gigantisches Technik-Zentrum, baut im Minutentakt revolutionäre neue Erfindungen und heilt sogar Todkranke – er ist drauf und dran, selber die ultimative Super-KI zu werden, von der er immer geträumt hat. Aber ist Will wirklich noch Will? Oder nur ein seelenloses Computersystem mit seinem Gesicht? Und wie viel Macht… ist zu viel Macht?
Regisseur Wally Pfister, der ehemalige Chefkameramann von Regie-Guru Christopher Nolan („The Dark Knight„, „Inception„), liefert mit „Transcendence“ einen schick gefilmten Sci-Fi-Reißer ab, der sein Potenzial leider nicht ausnutzt. Johnny Depp spielt seinen Doktor an der Grenze zur Lethargie, das Skript ist vom Plothole-Virus befallen (offenbar ist so etwas wie eine Baugenehmigung in den USA völlig unbekannt) und das Finale enttäuscht mit handelsüblicher Krachbumm-Action aus dem Blockbuster-Handbuch für Mutlose. Gerade Letzteres ist besonders schade, da sich der Film anfangs überraschend viel Zeit nimmt, die liebevolle Beziehung der Hauptfiguren zu etablieren und sich bis dahin auch konventioneller Schwarzweiß-Malerei verweigert. Cyber-Will ist nämlich eben nicht der klischeehaft-durchgeknallte Psycho-Bösewicht, der mal wieder „die Welt beherrschen“ will. Sondern tatsächlich ein Idealist, der im Kern wahrhaftig Gutes will. Die paranoiden, gewaltbereiten Menschen, die fürchten, was sie nicht verstehen, und zerstören, was sie fürchten, sind möglicherweise viel gefährlicher – ein reizvolles Gedankenexperiment, das leider nicht konsequent zu Ende geführt wird.
So transzendiert „Transcendence“ gar nichts, sondern verschwindet als herzlich belangloser Frühjahrs-Lückenfüller vom System. Unser Tipp: Lieber nochmal „Der Rasenmähermann“ von 1992 angucken! Und sich ärgern, dass wir beim Thema Cybersex in den letzten 20 Jahren noch nicht großartig weitergekommen sind:
Dies, liebe Leute, war ein Gastbeitrag von Wolf.
Und hier noch der Trailer zu „Transcendence“: