Wenn Jim Jarmusch einen Film über Vampire macht, kann dabei nur etwas ganz und gar Außergewöhnliches herauskommen. Und genau das ist sein „Only Lovers Left Alive“ in jeder Beziehung: außergewöhnlich.
Vorweg gleich die „Warnung“: Wer auf düstere Fantasy-Spektakel der Marke „Underworld“ oder hormongetränkte Teenie-Love-Triangle-Wirrungen à la „Twilight“ oder „Vampire Diaries“ steht, wird mit diesem Film eventuell nichts anzufangen wissen. Hier spritzt weder literweise Blut, noch gibt es rasante Actionparts, konstruierte Psychothrills oder romantische Liebesverwicklungen. Was es stattdessen gibt, ist Wahrheit: Wie unsere Welt (wie eine Zeitbombe) tickt, welche Werte es zu bewahren gilt, was Liebe, Freundschaft und Respekt bedeuten und warum der Mensch der eigentliche Zombie der Evolution ist.
Das mag vielleicht anstrengend und überfrachtet klingen, ist es aber nicht. Letztlich ist „Only Lovers Left Alive“ einfach nur ein wunderschöner, meisterhaft inszenierter und mit stiller Magie beseelter Film. Zeit, konkret zu werden:
Seit Jahrhunderten sind die Vampire Adam (Tom Hiddleston, der Loki aus Marvels „Thor“ Filmen) und Eve (Tilda Swinton) ein Liebespaar, das in der Gegenwart eine Fernbeziehung führt. Die lebensfrohe Eve lebt im marokkanischen Tanger, wo sie sich vom alten Vampir Christopher Marlowe (John Hurt, der Mr. Ollivander aus „Harry Potter„) – eben jener Poet, den einige Literaturwissenschaftler für den eigentlichen Verfasser von Shakespeares Werken halten – mit erstklassigem Menschenblut versorgen lässt. Der latent depressive Adam hingegen hat sich in einer alten Villa am Rande Detroits verkrochen und bezieht sein Überlebenselixir in Form von Blutspenden, die er einem Krankenhausarzt abkauft. Die Tristesse Detroits fungiert als emotionaler Spiegel für Adams Seele: Einst Hochburg der US-Autoindustrie, säumen nur noch verlassene Fabriken und Häuserzeilen die geisterhaften Straßen der Stadt, die wie ein industrielles Mahnmal wirkt.
Vom Leben desillusioniert, gibt sich Adam seinem Weltschmerz hin und verzweifelt an den „Zombies“, die diese Welt kontinuierlich zugrunde richten: den Menschen. Einzig in seiner Musik, die er auf seinem quasi antiken Equipment aufzeichnet, findet er noch Zuflucht und lässt sich von seinem einzigen „Freund“ Ian (Anton Yelchin, dem Chekov aus „Star Trek„, der hier wie Tuomas Holopainen höchstpersönlich aussieht) mit seltenen Gitarren beliefern. Als Eve bei einem Telefonat merkt, wie verzweifelt ihr Liebster ist, verlässt sie Tanger und bringt wieder etwas (untotes) Leben in Adams Bude. Doch schon bald steht ihre verantwortungslose Schwester Ava (Mia Wasikowska, „Alice im Wunderland“) vor der Tür und richtet heilloses Chaos an.
Man merkt schon: Die Handlung dieses zweistündigen Vampirdramas ist – wie eigentlich immer der Jarmusch – vergleichsweise reduziert. Doch durch das, was alles nicht passiert, konzentriert sich der Film auf das, was wichtig ist und in den kleinen, unscheinbaren Momenten und Sätzen zum Ausdruck kommt: Wie achtsam Eve mit Tieren und Pflanzen umgeht, wie das Maßhalten über Genusssucht erhoben wird, wie respektvoll und klar die Liebe der beiden Vampire ist, wie viel Erhabenheit in einem einzelnen Musikstück liegen kann. Überhaupt: Musik. Jim Jarmusch ist selbst passionierter Mucker und hat mit seiner Band SQÜRL einen Großteil des fantastischen Soundtracks abgeliefert, zu dem auch die faszinierende US-Singer-Songwriterin Zola Jesus (mal anchecken!) und die libanesische Sängerin Yasmine Hamdan beigetragen haben. Hamdan ist mit ihrem Song „Hal“ in einer besonders bewegenden Szene auch direkt im Film vertreten (die frei von Spoilern ist):
Wie ihr lest, bin ich vollends begeistert von „Only Lovers left Alive“, der für mich einer der magischsten Filme der letzten Jahre und einer der besten Vampirfilme überhaupt ist – eben weil er den Vampirmythos aus einer völlig anderen Perspektive beleuchtet und Fragen zu unserem Selbstverständnis als Menschen stellt, ohne dabei aufdringlich oder belehrend zu sein.
Wer Jim Jarmuschs Filme (wie den genialen „Dead Man„, „Ghost Dog“ oder „Broken Flowers“) schätzt, wird sich auch in diesen verlieben. Und wer mal etwas abseits des plattgetretenen Mainstream-Pfades entdecken will: hier, bitteschön! Ich schließe mich einem englischen Review an und zitiere: „Jarmusch aficionados will get it; Twilight fans won’t.“
Zu welchem Schlag gehört ihr?
Schaut’s mal in den Trailer rein:
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