Als Kind hatte ich mal einen Schal. Den hab ich von meiner Oma bekommen. Die wiederum hat diesen Schal von einer Freundin erhalten, dessen Bekannte wiederum eine Nachbarin hatte, die stricken konnte. Ganz furchtbare Geschichte. Ganz furchtbarer Schal. Der juckte. Billige Wolle, tipp ich drauf. Ein ganz mieses Drecksding. Zum Glück musste ich den nur tragen, wenn die Nachbarin der Bekannten von Omas Freundin kam. Heute lege ich nur hoch hochwertigen Stoff um meinen Hals. Jucken darf er nicht. Scheuern darf er nicht. Er muss sich anfühlen wie flauschige Wolken in einer warmen Sommernacht. Und meine lieben Freunde und deren Freundinnen, meine verehrten Nachbarn, liebe Stalker – der Basic Scarf von Urban Classics – mein lieber Herr Gesangsverein – das ist ein Schal.
So ein Schal ist ja nun mal ein Schal. Nicht mehr und nicht weniger. Denkste! Da gibt es gravierende Unterschiede die dir unter Umständen die Tränen in die Augen jagen. Ich erwähnte es bereits. Billiges Material. Schlechte Verarbeitung. Von diesen selbstgestrickten im Dornen versehenen Rabendingern sollte man tunlichst seine Finger lassen. Ernsthaft. Gerade in zweisamen Nächten hat man damit keine Freude. Und macht sich vielleicht auch keine. Doch dazu später mehr.
Der „Basic Scarf“ 180 cm lang. Das sind fast zwei Meter! Zwei Meter! Ich wiederhole es noch einmal kurz. Zwei Meter. In der breite ist das gute Stück genau 19 cm. Das kann man sich also… und überhaupt, gerade wenn es kalt und auch… – mir fehlen die Worte – und was Gewicht: 245 g/m² bedeutet? Immer noch keine Ahnung. Vielleicht sollte ich mich mal mit einem Stoffexperten unterhalten. Nein. Damit meine ich nicht den Dealer, den ich überhaupt auch gar nicht kenne. Will ich auch gar nicht. Drogen sind nämlich voll scheiße. Und das kann man nicht oft genug sagen. Drogen sind scheiße.
Zurück zum Thema und zu den besonderen Nächten. Vor einigen Jahren, ich wohnte noch bei meinen Eltern, besuchte ich das Dorfschützenfest. Ihr wisst schon. Großes Zelt. Viele Leute. Saufen. Bratwurst. Tanzband und so. Auf jeden Fall, dort lernte ich ein nettes Mädchen kennen. Keine Ahnung mehr, wie die hieß, Carola. Glaub ich. Oder Jessica? Vielleicht auch Lena. Ist auch egal. Auf jeden Fall war die echt heiß. Irgendwann musste sie nach Hause. Und sie wollte ihre Eltern anrufen. Natürlich hatte niemand ein Handy dabei. Damals war das so. Also musste sie von meinem Elternhaus aus telefonieren. Wir gingen zu mir. Sie rief ihre Eltern an. Das Dumme war nur, dass sie aus Cloppenburg kam und ihre Eltern noch tanken wollten. Sie sagten, es könne vielleicht 45 Minuten dauern. Carola-Jessica-Lena fragte mich, was wir in der Zeit machen könnten. Ich schlug vor, einen Kaffee zu trinken. Aber sie hatte eine bessere Idee. Wir gingen auf mein Zimmer.
Hätte ich den Schal von Urban Classics doch nur da schon gehabt
Topfschlagen. Hatte ich schon Ewigkeiten nicht mehr gespielt. Topfschlagen war eine großartige Idee. Manchmal frage ich mich noch heute, wie dieses heiße Mädel in ihren scharfen Klamotten nur so einen kreativen Einfall haben konnte. Sie setze sich also auf mein Bett. Dann nahm sie meine Hand und sagte: „Da vorne. Da liegt ein Schal. Verbinde mir die Augen und gib mir deinen Löffel. Ich fang an.“
Oh Fuck. Verdammter Mist. Das war der Schal von meiner Omas Nachbarin Freundin. Dieses grausige Drecksteil. Aber was sollte ich machen. Da saß sie. Diese Hammerbraut. Und sie wollte mit meinem Löffel spielen. Manchmal muss man einfach was riskieren, im Leben. Ich ging zum Schreibtisch, nahm den Schal, stellte mich hinter sie und verband ihr die Augen. Dann legte ich den Topf zurecht und gab ihr meinen Löffel. Sie ging auf die Knie und bewegte ihre Hand auf und ab. Nicht zu doll. Ganz sanft. Schließlich wollte sie meine Eltern nicht wecken. Aber nach kurzer Zeit – der Löffel hatte erst drei oder vier Mal den Boden berührt, riss sie sich den Schal vom Kopf. „Was ist das denn für ein Drecksding. Der juckt ja wie blöd. Nee. So macht das keinen Spaß. Ich warte draußen auf meine Eltern. Bleib du besser hier.“ Sie nahm ihre Jacke und verschwand.
Heute denke ich mir, wenn ich den Basic Scarf von Urban Classics trage – hätte ich den doch damals schon gehabt. Mit diesem Schal wäre das Topfschlagen um Längen besser gewesen. Um Längen.
Zum Schützenfest bin ich übrigens anschließend nicht mehr gegangen. Ich hatte keinen Bock mehr.