Ladys und Gentlemen, hier kommt er, der vielleicht am heißesten erwartete Blockbuster des Kinoherbstes: Christopher Nolans Weltraumepos „Interstellar“! Wird der „Dark Knight“-Regisseur wieder so ein visionäres und forderndes Mindfuck-Meisterwerk wie „Inception“ abliefern? Wird er das Science-Fiction-Kino auf ein neues Level heben? Wird er uns überwältigen? Sind das rhetorische Fragen??
Vier Fragen, jeweils die gleiche Antwort: Natürlich! „Interstellar“ liefert genau das, was man von einem Nolan-Film erwartet: Überwältigende Bilder, große Emotionen und eine packende Story, deren wissenschaftliche Grundlagen dem Zuschauer einiges abverlangen. Eintönige Superhelden-Effektorgien sollen andere drehen – Chris Nolan steht nach wie vor wie kein Zweiter für spektakuläres Blockbusterkino, das Action und Anspruch perfekt miteinander verbindet.
Der Erfolg von „Inception“, der 825 Millionen Dollar einspielte, gibt ihm Recht und uns Hoffnung: Intelligentes Blockbusterkino, das bloßen Eskapismus übersteigt und den Geist herausfordert, ist möglich.
Kommen wir zum Film selbst: Dieser spielt in der nahen Zukunft, in der die Erde durch den menschlichen Raubbau und den damit einhergehenden Klimawandel systematisch abstirbt. Hier könnte „Interstellar“ aktueller nicht sein – man muss sich nur mal den jüngsten UN-Klimareport anschauen. Die Veränderungen des Erdklimas haben fatale Konsequenzen für den Menschen: Gigantische Staubstürme überziehen regelmäßig die Erdoberfläche, und Grundnahrungsmittel wie Weizen sterben peu a peu aus; Mais ist so ziemlich das Einzige, was noch wächst in der ausgedörrten Erde.
Deswegen kehrt die Menschheit beruflich vermehrt zu ihren Ursprüngen zurück: Techniker braucht keiner mehr – Farmer sind gefragt! So wie der verwitwete Cooper (Matthew McConaughey), der früher mal NASA-Testpilot war, nun aber eine riesige Maisplantage betreibt. Als er in seinem Farmhaus ein paar Gravitations-Anomalien bemerkt, daraus Koordinaten ableitet und diesen auf ein verwaistes Testgelände folgt, landet er im geheimen Forschungslabor der NASA, die seit einiger Zeit nur noch im Untergrund operiert. Raumfahrt-Förderungsmittel lassen sich schließlich schlecht verkaufen, wenn das Volk hungert.
Dort trifft er auf seinen alten Bekannten Professor Brand (Nolan-Stammgast Michael Caine), der ihn in den Status quo einweiht: Die Erde und alles Leben auf ihr ist dem Tode geweiht. Die einzige Chance, das Überleben der Menschheit sicherzustellen, besteht darin, einen bewohnbaren Alternativ-Planeten zu finden und umzusiedeln. Als sich vor einigen Jahren ein mysteriöses Wurmloch im All auftat, durch das man theoretisch in ferne Galaxien reisen kann, entsandte die NASA bemannte Raumschiffe, die nie zurückkehrten. Nun soll eine zweite Mission Klarheit darüber bringen, ob es eine interstellare Zukunft für die menschliche Spezies gibt. Und Cooper ist der Mann dafür.
Emotionale Erdung erfährt Nolans intergalaktischer Trip durch Coopers Beziehung zu seinen beiden Kindern, dem Teenager Tom und der etwas jüngeren Murph. Vor allem das Mädchen hadert mit der gefährlichen Mission des Vaters und trennt sich von ihm im Zorn. Hier drückt der Film bisweilen etwas stark auf die Tränendrüse – andererseits ist es ja auch genau diese Emotionalität, die uns ausmacht. Das menschliche Element, das es auf einem fernen Planeten zu bewahren gilt.
Die wissenschaftlichen Theorien zu Wurmlöchern und Gravitation basieren auf der Arbeit des Physikers Kip Thorne, der Nolan als Berater (und Produzent des Films) zur Seite stand. Entsprechend abgespaced geht es bisweilen zu: Zeitdilatation auf anderen Planeten, Raumzeitkrümmung, Relativitätstheorie und Schwarze Löcher sind nur einige der astrophysikalischen Phänomene, derer sich „Interstellar“ bedient. Doch das dreistündige Epos wird dabei nie so theoretisch und verkopft, dass dem Zuschauer der Schädel qualmt und man abschalten mag. Auch hier gelingt es Chris Nolan, der zusammen mit seinem Bruder Jonathan das Drehbuch schrieb, wieder, wissenschaftstheoretische Materie mit epochaler Actionkost zu kombinieren.
Dass „Interstellar“ eine ungeheure emotionale Wucht entwickelt, der man sich nur schwer entziehen kann, hat mehrere Gründe: Zum einen ist es natürlich Oscarpreisträger McConaughey, der hier nach „Dallas Buyers Club„, „Mud“ und „The Wolf Of Wall Street“ schon wieder eine absolute Meisterleistung abliefert. Nicht zu vergessen „True Detective“ natürlich. Neben ihm verblasst der stark besetzte Nebencast um Michael Caine, Jessica Chastain und Casey Affleck nahezu. Vor allem Anne Hathaway ist als Professor Brands Tochter, die die Mission begleitet, ziemlich schwach und hat wenig Chemie mit McConaughey – ihre Rolle gibt aber auch nicht sonderlich viel her.
Zum anderen ist es die fantastische Inszenierung, die den Film zum absoluten Must-see für jeden Filmfan machen: Die Bilder von den unterschiedlichen fernen und unserem Heimatplaneten sind überwältigend und wurden von Kameramann Hoyte van Hoytema perfekt eingefangen. Erstmals arbeitete Nolan bei diesem Film übrigens nicht mit seinem Standard-Kameramann Wally Pfister zusammen, der sich lieber auf sein Regiedebüt „Transcendence“ konzentrierte. Doch auch „der Neue“ harmoniert prächtig mit dem Regisseur und hat sich ja schon bei „So finster die Nacht“, „The Fighter“ oder „Her“ als begnadeter Kameramann erwiesen.
Auch der Score von Hans Zimmer, der ja schon die „Dark Knight“-Trilogie so genial musikalisch begleitete, ist absolut überragend: Süßliche Streicher-Kaskaden steigern sich in ein absolutes Kakophonie-Crescendo, aufwühlende Piano- und Orgel-Passagen lassen einem die Nackenhaare zu Berge stehen. Ich gebe freimütig zu, diverse Male Gänsehaut und Pipi in den Augen gehabt zu haben. Auch die Armlehnen meines Kinosessels müsste man vielleicht noch mal reparieren, so wild wie ich mich gen Ende darin hineingekrallt habe.
Wenn ich irgendetwas an „Interstellar“ kritisieren müsste, dann allenfalls die verschenkte Anne Hathaway, das Roboterdesign (es gibt zwei schlaumeierische Begleitrobos, die wie eine Mischung aus R2-D2, HAL aus „2001“ und Marvin aus „Per Anhalter durch die Galaxis“ wirken und irgendwie albern aussehen bzw. „gehen“) und die Tatsache, dass ich mir vom Thema „Erde im Arsch“ irgendwie etwas mehr versprochen hätte. Was die Zukunft unseres Planeten anbelangt, ist „Interstellar“ dann doch ein wenig resignativ. Indem er in die Sterne blickt, verschließt er die Augen davor, dass ja längst noch nicht alles verloren ist – auch wenn es mittlerweile natürlich schon drei vor zwölf ist. Gerade ein Mann wie Nolan, der mit seinen gehaltvollen Blockbustern eine große Masse zum Denken anregen kann, hätte bei all den interstellaren Abenteuern vielleicht noch ein bisschen terrestrische Hoffnung säen und zum Einschreiten auffordern können. Aber das ist nur eine persönliche Meinung eines frustrierten Erdenbürgers.
„Interstellar“ ist ein Meilenstein des Science-Fiction-Kinos, der großen Vorlagen wie „2001 – Odyssee im Weltraum“, „Gravity“, „Enterprise“ bzw. „Star Trek“ oder (durch sein „Vom Dust Bowl in den Himmel“-Motiv) auch „Der Zauberer von Oz“ Tribut zollt und beizeiten auch „Elysium“ oder Nolans eigenem „Inception“ zitiert. Einer von Nolans stärksten Filmen – und das will wahrlich etwas heißen.
Hier der Trailer (falls ihr überhaupt so lang durchgehalten habt – aber was muss, das muss!):
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