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Um Billy Talent war es still. Viel zu lange. Geschlagene 6 Jahre hat es gedauert, aber nun ist ein neues Album am Start. Zwischen Trademarks und neuen Klängen pendelnd, holen sie sich den Titel „Album der Woche“ bei EMP.
Neues Jahr, neues Album von Billy Talent. Es hat geschlagene 6 Jahre gedauert, bis die Kanadier wieder von sich hören lassen. Die längste Pause in der Bandgeschichte, wenn man auch nur bedingt etwas für diese Tatsache kann. Steht doch wie Welt seit rund zwei Jahren enorm auf dem Kopf. Ein Umstand, der insbesondere Musiker vor eine Herausforderung stellt. Man hat Zeit, kann Songs schreiben, diese aber – zumindest nach derzeitigem Stand – nicht auf die Bretter dieser Welt bringen. Dies ist natürlich ein Dämpfer und schmälert die Sache enorm. Und dennoch muss die Maschine irgendwie weiterlaufen, denn es wird definitiv ein „Nach-Corona“ geben. Und dennoch drängt sich der Eindruck auf, dass auch Billy Talent etwas Besonderes schaffen wollten. Sing Ben Kowalewicz direkt beim Opener „Lost in the wind, without a direction. Possessed by perfection.“. Dies kann kein Zufall sein, wie sich im Laufe von „Crisis Of Faith“ herausstellen wird.
Mit 10 Tracks klingen Billy Talent immer noch nach Billy Talent…
10 Tracks sind es ingesamt geworden, wobei drei vorab schon auf die Fans losgelassen wurden. Mit „Forgiveness I + II“ gibt es als Einstieg direkt den „ältesten“ Song zu hören. Ein zweiteiliger Brocken, welcher es in sich hat. Während der erste Teil herrlich auf ein vorheriges Album gepasst hätte, ja schon direkt an die „Red Flag“-Ära erinnern lässt, wird der Hörer nach exakt 3:45 Minuten in den zweiten Teil gezogen, welcher nahtlos anschliesst, aber derart anders klingt und erscheint. Lässig Jazz-lastiger Bass, Bläser und ein prominentes Saxophon lassen wohl die meisten Zuhörer aufschauen. Ist das immer noch Billy Talent? Definitiv, nachdem die prägnante Stimme von Ben erneut erschallt. Mutiger zeigten sich Billy Talent wohl nie. Und dennoch steht eben genau dieser Track für das Hier und Jetzt der Band. Doch dazu später noch mehr.
„Reckless Paradise“ marschiert quasi durch seine Spielzeit und klingt nach den typischen Tönen von Billy Talent. Bass, Gitarre und auch der Gesang sind derart typisch, dass ein eventuell verwirrter Fan hier wieder aufatmen wird. „I Beg To Differ (This Will Get Better)“ klingt positiv und geradezu optimistisch. Ebenfalls vor geraumer Zeit veröffentlicht, ist dies wohl der Hoffnungsschimmer in diesen Tagen. „The Wolf“ ein Highlight des Albums, wenn auch für meinen Geschmack zu früh platziert. Die nachdenkliche, melancholische und orchestral ausgestattete Ballade zeigt Billy Talent von einer wunderbar fragilen Seite. Da ist es sekundär, dass es thematisch um erloschene Feuer, Nordlichter und abstürzende Satelliten geht. „Reactor“ ist der Vorbote für das treibende, Punk-lastige und peitschende „Judged“. In exakt 100 Sekunden entlädt sich die Band und zeigt zum zweiten Mal eine neue Facette auf diesem Album.
… lassen Raum für neue Klänge…
„Hanging Out With All The Wrong People“ zaubert einem ein Lächeln ins Gesicht. Wer kennt den elterlichen Rat nicht, dass man sich seine Freunde genau anschauen soll. Exakt diese Stimmung – inklusive dem damaligen Alter – wird erzeugt. Wo man sich damals diesem Rat entzog, wird man hier wieder von der Dynamik von Billy Talent eingefangen. „End Of Me“ sorgte wohl für etwas Irritation, als man den Song vorab veröffentlichte. Billy Talent arbeiten mit Weezer-Sänger Rivers Cuomo zusammen? Wie soll dies funktionieren, wenn die Band Lebensfreude ausstrahlt, Rivers aber eher für seine (musikalische) Niedergeschlagenheit bekannt ist. Das Resultat ist ein wunderbarer Ohrwurm, welcher sogar mit einem soliden Gitarrensolo auffährt. Wer hätte dies gedacht? „One Less Problem“ ist wieder typisch Billy Talent, während man beim Schlusssong „For You“ sich nochmals mit einer liebevollen Power-Ballade von der Glanzseite zeigt.
… und holen sich den Titel „Album der Woche“
„Crisis Of You“ ist ein erwachsenes Album von Billy Talent. Natürlich hat auch dieses Album Trademarks wie die prägnante Gitarrenarbeit eines Ian D’Sa oder die markante Stimme von Ben. Jedoch – und dies ist wohl der große Unterschied zu bisherigen Alben – zeigen sich Billy Talent von einer Seite, die Kritiker der alten Alben als „dosiert“ bezeichnen würden. Weniger schrill, weniger nervig und reifer. Die Band besticht auch 2022 mit dem wohl besten Background-Sänger, den eine Band haben kann. Ian ist das Salz in der Suppe und dies nicht nur wegen seiner Gitarrenarbeit. Aber auch ein Kowalewicz ist an sich gewachsen und darf als Sänger verstanden werden. Musikalisch haben Billy Talent ihr Korsett abgelegt, trauen sich neue Klänge und wagen sogar den Weg zum Jazz. Vor Jahren noch unvorstellbar, jetzt aber die richtige Wandlung zur richtigen Zeit. Unser Album der Woche bei EMP.
Ich schreibe seit 2009 für EMP, von Produkttexten über Reviews bis hin zu Beiträgen im Blog. Meine größte Passion ist meine Familie und die Fotografie sight-of-sound.de!. Ich lebe in Hamburg, liebe Platten, Filme, Konzerte und gute Bücher. Musikalisch bin ich weniger engstirnig, denn letztendlich muss Musik gut gemacht sein und mich packen!